Jakob Lena Knebl, 2018:
Sabine Schwaighofer looks deeply and with intensity into the medium of photography, she is one of the pioneers of the discourse on identity construction, of parody and revealing of everyday common culture and their desires. The artist has developed her affectionate look onto everyday life and its identity-creating actors/objects since the late 1980ies. She often combines her objects with radical and courageous self-staging.
Translation: Thomas Schwaighofer
German Version:
Sabine Schwaighofer setzt sich in ihren Arbeiten intensiv mit dem Medium
der
Photographie auseinander,
sie zählt zu den Pionier:innen rund um den Diskurs der Identitätskonstruktion, der Parodie und dem Sichtbarmachen von Alltagskulturen und deren Begehren.
Ihr liebevoller Blick auf den Alltag und dessen identitätsstiftender Akteure/Objekte die die Künstlerin oft mit radikalen und mutigen Selbstinszenierungen kombiniert, werden von ihr seit den
späten 80er Jahren kontinuierlich entwickelt.
Excerpt from: self-portraits - not at home, the photographic works of Sabine Schwaighofer
Christian Kravagna 2014
„With her sequences of photographs Sabine Schwaighofer is surveying the complex relationships between body, gender, and identity.
Since the late eighties hundreds of photographs have accrued. Their central but not sole subject was the photographer/author/artist herself. So it could be justified to call them Self-portraits. The variation of the appearance of the portrayed person is so multifold that the idea of a fixed Self vanishes in the totality of the collection of pictures. In individual series the artist is using a wide range of techniques of self-staging, borrowed from the performing arts like transformation into and personification of types.
She uses makeup, clothing, hairdos, wigs, and props. Last but not least she uses poses.
Throughout and across the individual series of pictures one can recognize references to various photographical genres, from studio photography to amateur photography, and from the photo booth to the picture diary.
From this results an aesthetic divergence on the level of the pictures which corresponds to the performative transformations of the portrayed person(s) and their staged identities, without creating a systematic relationship between her photographic style and the physical expression portrayed.
In this form of photographic approach we witness a sequence of visual Self-inspections. In principle they cannot be conclusive, but they are not at all a random sequence of such Self-inspections of a subject whose position can be determined temporarily by gender and culture, and also by relationships to humans, things, and places, but can also be readjusted again and again by Self-design.
Stuart Hall once said: "Identity is an ever-unfinished conversation." In Sabine Schwaighofer's work the subject of identification engages itself, in the language of photography, in such an unfinishable conversation with norms, ideals, and phantasies of body, gender, and sexuality.“
Translation: Thomas Schwaighofer
self-portraits – not at home
Zu den fotografischen Arbeiten von Sabine Schwaighofer
Christian Kravagna 2014
Sabine Schwaighofer befragt in fotografischen Serien komplexe Beziehungen von Körper, Geschlecht und Identität. Seit den späten 1980er-Jahren entstanden hunderte Aufnahmen, deren zentrales, wenn auch nicht alleiniges Motiv ihre Autorin ist. Insofern lassen sie sich mit einigem Recht als Selbstporträts bezeichnen. Die Varianz der Erscheinung der Porträtierten ist aber so hoch, dass sich jede Vorstellung von einem festgefügten Selbst in der Gesamtheit der Bilder verflüchtigt. Innerhalb einzelner Serien bedient sich die Künstlerin einer breiten Palette performativer Techniken der Selbstinszenierung, Verwandlung und Verkörperung von Typen. Dazu dienen unter anderem Schminke, Kleidung, Frisuren, Perücken, Requisiten und nicht zuletzt Posen. Über die einzelnen Serien hinweg lassen sich Verweise auf diverse fotografische Genres feststellen, von der Studiofotografie über die Amateurfotografie und den Fotoautomaten bis zum Bildtagebuch. Daraus resultiert auf der Bildebene eine ästhetische Divergenz, die mit den performativen Wandlungen der dargestellten Person_en und inszenierten Identitäten korrespondiert, ohne dass die Beziehung zwischen fotografischem Stil und körperlichem Ausdruck dabei systematisiert würde. Es handelt sich bei dieser fotografischen Praxis um eine prinzipiell unabschließbare, dabei aber keineswegs beliebige Folge von visuellen Selbstinspektionen eines Subjekts, dessen Position aus geschlechtlichen und kulturellen Determinationen sowie aus Beziehungen zu Menschen, Dingen und Orten jeweils temporär bestimmt wird, aber auch in Selbstentwürfen immer wieder neu ausgerichtet werden kann.
Eine frühe Serie wie self-portraits (1997) und eine jüngere wie the harp – die harfe (2013) machen zusammen betrachtet das kritische Spiel mit Geschlechterbildern als thematische Konstante von Schwaighofers Arbeit deutlich und demonstrieren zugleich die methodische und letztlich auch inhaltliche Divergenz der künstlerischen Behandlung dieses Themas. In self-portraits präsentiert sich die Künstlerin in Gestalt verschiedener Männerfiguren. In diesen grobkörnigen Schwarzweißfotos genügen kleinere Abwandlungen der Staffage, um etwa einen Schriftsteller der 1970er-Jahre, einen Gastarbeiter oder einen orthodoxen Juden zu evozieren. Gendertransgression ist hier an die Überschreitung historischer, sozialer und kultureller Räume geknüpft. Im Gegensatz dazu stellt Schwaighofer, wenn sie in the harp – die harfe in dicken Wollsocken und Jogginghose neben der Ikea-Kommode mit dem Wäscheständer hantiert, die Affirmation einer Weiblichkeitsfigur der glücklichen Hausfrau vor, die entweder als Persiflage von einschlägigen Werbebildern gelesen werden kann oder durch den übertriebenen Einsatz von aufreizenden Posen eines betont unattraktiv personifizierten Klischees auf besondere sexuelle Interessen verweist, die diese Version medial normierter Weiblichkeit überschreiten.
Zwischen den Polen der parodistischen Überzeichnung von Genderbildern im Rahmen der Einheit von Zeit, Ort und Handlung (the harp) und der subtilen Zeichensetzung ihrer Transformation über Zeiten und Kulturen hinweg (self-portraits), die beide von einer gewissen konzeptuellen Stringenz getragen sind, zeigen Schwaighofers Fotografien aus anderen Serien eine sowohl methodische als auch motivische Öffnung gegenüber Alltagsmomenten und Lebenslagen. Hier kommt ein Realismus ins Spiel, der das performative Moment der Selbstdarstellung zwar beibehält, die offensichtliche Inszenierung und Maskerade allerdings zugunsten eines nackten Gesichts, einer persönlichen Umgebung oder eines symbolisch besetzten Gegenstands unterläuft. Dieser „Realismus“ ist in seiner scheinbar dokumentarischen Dimension allerdings nur zu begreifen, wenn man ihn aus der Kenntnis der eindeutigeren Experimente mit Genderbildern und kulturellen Stereotypen versteht, die Schwaighofer vor allem in den bis 2000 entstandenen Serien verfolgt, in denen die Künstlerin sowohl alleine als auch in Paarkonstellationen meist frontal vor der Kamera posiert. So lässt sich self-portraits (1998) als unmittelbare Konfrontation mit dem Kamerablick beschreiben, in den das gesellschaftlich Vor-Gesehene von Geschlecht und Kultur, Normalität und Devianz, eingeschrieben ist. Vor dem gleichbleibenden Hintergrund eines bunten Gebetsteppichs mit Mekka-Motiv präsentiert sich die Künstlerin mit dunklen kurzen Haaren, dichtem Schnurrbart und einer Vielzahl weiterer Accessoires als „orientalischer“ Mann. Wie in einer Versuchsreihe wird hier durchgespielt, was die Andersheit von geschlechtlicher und kultureller Identifikation im dominanzgesellschaftlichen Blick jeweils konstituiert. Im wechselnden Einsatz von Zeichen innerhalb von Zeichenfamilien (schwarzes Hemd, schwarze Lederjacke, schwarzer Mantel; gelbe Rose, rote Rose, rotes Rosenbouquet usw.) wird das bedeutungsstiftende und bedeutungsverschiebende Potenzial von Zeichen und Zeichenkombinationen im Hinblick auf gesellschaftlich produzierte Bilder von Identität und Differenz untersucht.
Davon zeugt der Blickkontakt mit der Kamera bzw. der Betrachter_in, durch den sich der/die Porträtierte mal unsicher, mal distanziert, mal selbstbewusst in einen Dialog mit einem kollektiven Gegenüber setzt. Der Verweis auf die Studiofotografie, die über die Verfügbarkeit wechselnder Hintergründe und einer reichen Auswahl an Requisiten üblicherweise das Realisieren von Wunschbildern des Selbst erlaubt, von Entwürfen des Selbst, die nicht alltäglich gelebt werden (können), wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die in diesen Bildern vollzogenen drastischen Verwandlungen, über kulturelle und Geschlechtergrenzen hinweg, zu den weniger dramatischen Überschreitungen konventioneller Genderfiguren in den mehr dokumentarischen Bildern späterer Serien stehen.
Zunächst kommen in Serien wie together (1998), together_2 (1998) und rascals – schelme (1998) weitere Figuren, narrative Momente und mit ihnen mehr Bewegung in die verkörperten Rollen und ihre Beziehungen untereinander. Die Verwandlungen werden weniger systematisch und dabei zugleich lustvoller. Stereotypen (Blondine, Kosake, Migrant) werden zwar immer wieder aufgerufen, jedoch auch schneller wieder in andere transformiert. Da hier jeweils zwei Personen agieren, von denen die Künstlerin die männliche verkörpert, während die andere einmal weiblicher, ein andermal männlicher markiert ist, richten sich die inszenierten Charaktere nun nicht mehr nur auf die gesellschaftliche Instanz von Kamera und Betrachter_in sondern auch intersubjektiv an ihre_n Partner_in im Bild. Aus der Konfrontation mit dem Blick der Gesellschaft hat sich das Subjekt tendenziell in Richtung mehrseitiger Beziehungen befreit. Auch wenn die Handlungsmomente nur angedeutet sind, agieren die Charaktere dynamisch miteinander und evozieren durch Blicke, Posen, Ringe und Rosen kleine Geschichten von Liebe und Ritualen ihrer symbolischen Bekräftigung, wobei diese zwischen der spaßhaft-spielerischen Variante aus dem Fotoautomaten und der konventionellen Romantik des Hochzeitsalbums changieren können.
Gegenüber den schrillen Maskeraden der Fotoperformances dieser frühen Serien erscheinen die jüngeren Formen der fotografischen Selbstbefragung enger an die unmittelbaren Lebensrealitäten ihrer Produzentin gebunden. Manchmal weist darauf schon der Titel hin, wie im Fall von treatment at a health resort – zur kur (2001), einer Arbeit, in der Schwaighofer Aufnahmen vom Außenraum der Heilanstalt bei wechselnden Wetterlagen mit fotografischen Inspektionen des von Krankheit und/oder Therapie gezeichneten Gesichts der Patientin kombiniert. Typischer bzw. wegweisender für spätere Arbeiten ist allerdings N.Y.C. (2001-2002). Hier zeigt sich die Bedeutung, die nun der alltäglichen Umgebung, den persönlichen Dingen und vor allem dem Agieren in und Hantieren mit diesen Repräsentant_innen des „normalen Lebens“ zukommt. Folgten frühere Serien dem Motiv der Überschreitung von Raum und Zeit im Zusammenhang der Kultur- und Gendertransgression, so werden nun Motive des alltäglichen, sexuellen und künstlerischen Lebens auf eine Weise miteinander in Beziehung gesetzt, dass die Bedeutungsfunktionen, die früher von Maske und Requisite getragen wurden, durch die Kombinationen von Bildern übernommen werden, die für sich gesehen zunächst bedeutungsarm erscheinen mögen. So sehen wir auf einer Doppelseite der Dokumentation zu N.Y.C. vier Bilder: das frontal aufgenommene Porträt der Künstlerin in dezent kariertem Hemd und etwas zu großen schwarzen Brillen vor einem Badezimmerhintergrund; zwei Aufnahmen aus einem aufgeschlagenen Bildband Helmut Newton's mit elegant gestylten Frauen, zum Teil in (homo)erotischen Szenen; schließlich den Blick in den Kleiderschrank der Künstlerin mit einer Auswahl an karierten Männerhemden, aus dem der Gegenentwurf zum Glamour der Bildbände abgeleitet werden kann. Die Doppelseite vor der erwähnten zeigt uns sportliche Unterwäsche des Labels „mensform“ in Anlehnung an das Design von Fußballtrikots, die Doppelseite danach ein aufgefächertes Bündel von 20-Dollarnoten. Studien kommodifizierter Weiblichkeit/Sexualität in den Büchern und Bilder devianten Cross-Dressings aus der eigenen Lebenswelt werden in diesen Bilderfolgen gerahmt vom Tauschmittel Geld und geschlechtlich überdeutlich markierter Wäsche.
Im Gegensatz zur Maskerade früherer Selbstbefragungen ist das Gesicht der Künstlerin in den Bildern dieser und der meisten folgenden Serien nackt und ihre Bekleidung ungezwungen. Zugleich wird einer sexuellen Motivik mehr Raum gegeben, wenn etwa in N.Y.C. ein geöffneter Nietengürtel wie ein Gitarrenhals mit seiner genitalen Symbolik von einer Hand fest umschlossen ist oder der Schatten der Kamera mit dem eines Dildos assoziiert wird. In fantasizer (2003-2004) ist dieser Motivbereich weiter ausgebaut, in „männlichen“ Posen sexueller Potenz, in der Präsenz von Kondomen und Sexspielzeug in Küche, Bad und Arbeitszimmer zwischen Kochtöpfen, Medikamenten und Fernbedienungen, aber auch in der vermehrten Sichtbarkeit von erotischen und pornografischen Bildern aus Bildbänden und Magazinen. Hier werden nicht eindeutige Beziehungen gestiftet zwischen den Bildern der Selbstbefragung, den eigenen sexuellen Praktiken und Phantasien im alltäglichen Ambiente und den kommerziellen sexuellen Bildproduktionen. Eine dieser Beziehungsformen ist jedenfalls in der künstlerischen Praxis zu finden. Aufnahmen vom Arbeitstisch zeigen Negativstreifen und ausgearbeitete eigene Fotos neben oder auf den Pornoheften und erotischen Bildbänden liegen. Es scheint als würden sich die Selbstporträts und sexuellen Phantasien der Fotografin in der kulturellen Breite sexueller Orientierung und visueller Geschlechterdarstellung ihren Platz suchen. Etwas von diesem ambivalenten Prozess partieller Identifikation und partieller Disidentifikation mit kulturellen Gender- und Rollenbildern kommt auch in einem Bild aus N.Y.C zum Ausdruck, auf dem die Nahaufnahme des ungeschminkten Gesichts und der nackten Schulterpartie der Künstlerin von Reproduktionen historischer Gemälde hinterfangen ist, auf denen vornehme Damen in prachtvoller Robe und makellosem Teint zu sehen sind, unter ihnen auch eine Malerin die ein Selbstportrait malt.
„Identity is an ever-unfinished conversation“, hat Stuart Hall einmal gesagt. In Sabine Schwaighofers Arbeiten engagiert sich das Subjekt der Identifikation in der Sprache der Fotografie in so einer unabschließbaren Unterredung mit Normen, Idealen und Phantasien von Körper, Geschlecht und Sexualität. In neueren Serien wie forces and dreams (2010) oder not at home (2003 – 2011) ist dieses Subjekt in seiner körperlichen Präsenz kaum mehr zu sehen, weder in der Variante radikal ungeschönter Selbstinspektion noch in jener der spielerischen Verwandlung. Zunehmend werden Motive, die früher als Rahmen oder Requisiten dienten (Raumdetails, Blumen, Kleidungs- und Schmuckstücke), zu Hauptmotiven, während Körper und Gesicht oft nur mehr fragmentarisch, verschwommen oder als Silhouette ins Bild kommen. Auch wenn manche Bilder aus dem floralen oder sanitären Motivbereich bis zu einem gewissen Grad auf konnotativer Ebene weiterführen, was andere an sexuellen Inhalten explizit machten, so befinden sie sich nun im Horizont neuer thematischer Schwerpunkte, die schwieriger zu benennen sind, aber jedenfalls mit Schönheit, Vergänglichkeit und Erinnerung zu tun haben. Prächtig blühende Blumen stehen neben leicht verwelkten, der Wald ist ein herbstlicher wie auch der fleckige Apfel, der von einer nicht mehr jungen Hand gehalten wird. Das Dorf in der Provinz erstreckt sich hinter einer Wiese im Raureif, bestanden von Obstbäumen, von denen einer den schönen Apfel hervorgebracht haben mag, dessen Schale an die in vielen Selbstporträts thematisierte Neurodermitis (zur Kur) der Künstlerin erinnert.
In diesen und anderen Bildern – etwa von altmodisch mit Fliesen, Teppichen, Vorhängen und furnierten Schränken ausgestatteten Innenräumen – manifestiert sich ein Bezug auf Herkunft und Heimat als ein Faktor von Identitätsbildung. Ein gewisses Maß an Nostalgie schwingt dabei mit, ist aber von einer Atmosphäre der Unheimlichkeit überlagert. Man kann darin eine fotografische Erinnerung an frühe Prägungen erkennen und in einigen enigmatischen Objektkonstellationen ein traumartig verfremdetes Porträt vergangener Entwicklungsphasen sehen. Versuche, bestimmten Gefühlen und Atmosphären der eigenen Vergangenheit nachzuspüren, sind dabei begleitet von Naturschönheiten und subtilen Verweisen auf ihre Vergänglichkeit.
Andere Motive, wie das orientalische Teeservice auf dem Cover der Publikation zu forces and dreams, binden diese neueren Arbeiten an den ausgeprägten Orientalismus in Schwaighofers frühen Serien zurück. So kann das „reife“ Werk mit seinen offenen Bezügen auf Biografisches und jene heimatlichen Milieus, in denen Identität erst einmal geformt wird, auch über die ursprüngliche Notwendigkeit der performativen Verknüpfung von Gendertransgression und kultureller Grenzüberschreitung Aufschluss geben.
© sabine
schwaighofer 2023